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Kriterien bei der Arbeitgeberwahl: „Arbeitszeitmodelle werden sich weiter flexibilisieren“

Prof. Dr. Michael Ruf forscht und lehrt an der Hochschule Heilbronn „Internationales Personalmanagement“. Mit abi» spricht er über die Bedeutung flexiblen Arbeitens für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Eine junge Frau mit Laptop auf dem Schoß

abi» Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat 2019 Empfehlungen zum flexiblen Arbeiten veröffentlicht. Ist dieses Thema bei den Arbeitgebern angekommen?

Dr. Michael Ruf: Flexibles Arbeiten muss in einem modernen Unternehmen ermöglicht werden, denn Arbeitgeber, die Arbeitszeiten von neun bis fünf fordern, sind heutzutage unattraktiv. So wird sogar in der Automobilindustrie, wo an den Bändern Taktung herrscht, für flexible Arbeitszeitmodelle gesorgt. Ein Arbeitszeitmodell mit flexiblen Anfangs- und Endzeiten und einem Überstundenkonto gehört heute fast zum Standard. Das klassische Modell ist also Gleitzeit mit einem Überstundenkonto, das auf- und abgebaut werden kann. Das hat Vorteile für Unternehmen, weil man in den Zeiten, in denen viel zu tun ist, die Kapazität bekommt und diese nicht extra vergüten muss.

abi» Gibt es weitere Modelle?

Dr. Michael Ruf: Die nächste Stufe des flexiblen Arbeitens ist das Konzept der Vertrauensarbeitszeit, bei der auf eine Arbeitszeiterfassung komplett verzichtet wird. Dieses gilt aber nur im Führungs- und Managementbereich und kommt für Auszubildende und Berufseinsteiger nicht mehr infrage. Nach einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs sind Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitszeiten genau zu erfassen, auch im Homeoffice.

abi» Stichwort Homeoffice, wie gehört dieses Modell zur Flexibilisierung?

Dr. Michael Ruf: Homeoffice ist die zweite Dimension der Flexibilisierung, denn nach der Frage der Arbeitszeit stellt sich natürlich die Frage nach dem Arbeitsort. Ob das möglich ist, hängt sehr von der ausgeführten Tätigkeit ab. Außerdem stellt sich die Frage nach der häufig zitierten „Entgrenzung der Arbeit“ in räumlicher und zeitlicher Dimension. Für Minderjährige, also beispielsweise Auszubildende, sieht das Jugendschutzgesetz eine maximale Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vor. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass diese Grenze nicht überschritten wird.

abi» Denken Sie, dass die Covid-19-Pandemie in diesem Bereich unser Arbeiten nachhaltig beeinflusst hat?

Dr. Michael Ruf: Ja. Corona führte bei einigen Menschen zur Erkenntnis, dass sie auch außerhalb ihres hübsch eingerichteten Arbeitsplatzes arbeiten können. Es haben sich technisch neue Möglichkeiten ergeben: Kolleginnen und Kollegen verabreden sich beispielsweise auf einen virtuellen Kaffee. Das hat vielleicht nicht die gleiche Intensität wie ein persönlicher Austausch, ermöglicht aber auch über Distanz in Kontakt zu bleiben.

abi» Welche Vorteile hat die Flexibilisierung für Arbeitgeber?

Dr. Michael Ruf: Hochzeiten können leichter überbrückt werden. Unternehmen machen sich zudem für Arbeitnehmer attraktiver. Für Firmen, die das systematisch verfolgen, hat das natürlich den Vorteil, dass sie insgesamt weniger Büroarbeitsplätze brauchen, weniger Parkplätze und weniger Kapazitäten in der Kantine, das heißt, sie reduzieren den Bedarf, sodass sie Kosten und Infrastrukturen einsparen können.

abi» Das wäre also das Konzept des Büros 3.0, wo mehrere Arbeitnehmer sich Schreibtische teilen. Was ist die negative Seite?

Dr. Michael Ruf: Ein Unternehmen muss entsprechend technische Voraussetzungen schaffen. Während der Corona-Pandemie haben viele Unternehmen nachgerüstet. Personaltechnisch stellt sich die Frage: Wie entsteht ein Teamspirit? Wenn ich die Arbeitsatmosphäre als wichtigen Treiber sehe, die Mitarbeiter aber keinen festen Platz mehr im Büro haben.

abi» Viele Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger können sich inzwischen vorstellen, in Teilzeit in die Arbeitswelt zu starten. Wie stehen die Arbeitgeber dazu?

Dr. Michael Ruf: Temporäre Arbeitszeitreduzierungen sind längst nicht mehr auf die Familienphase beschränkt, sondern finden auch Anwendung bei der Pflege von älteren Angehörigen, bei der Aufnahme eines berufsbegleitenden Studiums oder einer Weiterbildung oder auch zur Vereinbarkeit der Arbeit mit einem Ehrenamt. Ich erlebe in meiner Arbeit mit Unternehmen diesbezüglich eine hohe Aufgeschlossenheit für sich ändernde Lebenssituationen von Mitarbeitern.

abi» Wann wäre der richtige Zeitpunkt, um nach einem Teilzeitarbeitsvertrag zu fragen? Ist das realistisch bei einer Erstanstellung?

Dr. Michael Ruf: Grundsätzlich gilt, dass sich Unternehmen mit längerer Vorlaufzeit besser auf solche Änderungen einstellen können. In einigen Fällen, wie zum Beispiel Elternzeit, sind Fristen vorgeschrieben. Es bietet sich immer eine frühe Kommunikation mit dem Arbeitgeber an. Bei einer Erstanstellung kann ich mir das grundsätzlich genauso vorstellen, habe ich bisher aber selten erlebt, da Absolventen erst mal loslegen und Geld verdienen wollen.

abi» Welche Modelle für Teilzeitarbeit gibt es?

Dr. Michael Ruf: Im Prinzip können drei Grundmodelle unterschieden werden: Die Reduktion der Stunden ist wahrscheinlich das klassische Teilzeitmodell. Hier wird entweder die tägliche Arbeitszeit stundenweise oder die Anzahl der Arbeitstage pro Woche reduziert. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass sich zwei oder mehrere Arbeitnehmer eigenverantwortlich eine Vollzeitstelle im sogenannten Job Sharing teilen.

zur Person

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Porträtaufnahme Michael Ruf

Prof. Dr. Michael Ruf  ist Professor für Internationales Personalmanagement an der Universität Heilbronn, Weiterbildungsbeauftragter und Geschäftsführer des Heilbronner Instituts für Lebenslanges Lernen gGmbH